Das Leben der Invertierten und Homoeroten in der Region des heutigen Baden-Württemberg

Ralf Bogen

Ich danke Rainer Hoffschildt für von ihm recherchierte Dokumente und Informationen aus der badischen Region. Die Dokumente, die er für die Homepage zur Verfügung stellt, sind aus seinem Vortrag “Kurze Chronik der Schwulen in Baden-Württemberg mit dem Schwerpunkt Nordbaden”. Bei diesen Dokumenten weise ich jeweils in den Fußnoten auf diesen Vortrag hin.

Die neue Zeit nach der Novemberrevolution 1919 ohne Kaiser und Klassenwahlrecht brachte grundlegende demokratische (Grund-)Rechte: Koalitions- und Versammlungsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung und der Presse, wovon auch die homosexuelle Minderheit eifrig Gebrauch machte. So war seit 1919 eine Vielzahl an Zeitschriften entstanden, in denen erstmals auch “einschlägige” regionale Treffpunkte aus Baden und Württemberg öffentlich genannt und bekannt gemacht werden konnten. Dies erleichterte es vielen Menschen, Selbstbewusstsein, Geselligkeit und Freundschaft unter “Gleichgesinnten” zu finden, die sich selbst jetzt nicht mehr “Urninge”, sondern zunächst “Invertierte”, später auch “Homoeroten” nannten.

 


Publikationen und Lokale

Die damaligen Publikationen der Homosexuellenbewegung wie z. B. “Die Freundschaft”, “Das Freundschaftsblatt” oder “Blätter für Menschenrecht” wurden nahezu ausnahmslos von Berliner Verlagen und Verlegern herausgegeben. Den Invertierten aus der Region war der Zugang zu diesen Zeitschriften durch Abonnements und ein reichsweites Netz von Verkaufs- und Vertriebsstellen möglich. In der Zeitschrift “Der Eigene” wurde z. B. am 20. Dezember 1919 bekanntgegeben, dass “Gleichgesinnte” die Zeitschrift bei August Fleischmann (1859 – 1931) in Mannheim T. 4 Nr. 3, beziehen können. In der homosexuellen Zeitschrift “Freundschaft” Heft 4 wurden 1921 regionale Verkaufsstellen publiziert: für Mannheim J. Grohe, Q, 4.7 – eine Buchhandlung, die auch “einschlägige Literatur stets vorrätig” habe, und für Stuttgart Alfred E. Gloeser in der Werastraße 73.

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Aus: “Die Freundschaft” Heft 4 von 1921

Ohne Angst sich treffen können

Anzeigen und Veranstaltungshinweise von Lokalen, die in einer der Homosexuellen-Zeitschriften erschienen sind, reichten, um schwulen Männern zu zeigen, wo sie willkommen waren und sich ohne Angst vor Diskriminierung mit Gleichgesinnten treffen konnten. Beispielsweise wurde in der Zeitschrift “Freundschaft” 1921 für ein neues Lokal in Mannheim geworben und in der Zeitschrift “Das Freundschaftsblatt” im Januar 1933 für den Treffpunkt im Cafe/Weinstube Lachenmaier in Stuttgart (damalige Kasernenstr. 1).

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Aus: Die Freundschaft 1921 (1)
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Anzeigen aus Das Freundschaftsblatt Nr. 2/1933 und Nr. 3/1933 (2)

Stadtpläne

Von Mannheim, Pforzheim und Stuttgart existierten in der Weimarer Republik schwul-lesbische Stadtpläne, die über “Sitz und Zusammenkünfte evtl. vorhandener Organisationen, homoerotischer Verkehrslokale, preiswerte Hotels mit guter Verpflegung, verständnisvolle Ärzte und Rechtsanwälte” informierten, wie der homosexuellen Zeitschrift “Freundschaft” Nr. 2 im Februar 1933 zu entnehmen war. In der Weimarer Republik gab es von 37 deutschen Orten sowie von zahlreichen europäischen Metropolen solche Stadtpläne, die als eine Art Vorläufer des heutigen unter vielen Schwulen bekannten „Spartacus“ betrachtet werden können. Leider hat unseres Wissens kein einziger dieser Stadtpläne die NS-Zeit überlebt.

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“Internationaler Reiseführer” mit angebotenen Stadtplänen aus Freundschaft Nr. 2/ Febr. 1933 (2)
Quellen:
(1) Recherche und Dokumente von Rainer Hoffschildt: Kurze Chronik der Schwulen in Baden-Württemberg mit dem Schwerpunkt Nordbaden – Zusammenstellung aufgrund von Hinweisen aus dem Schwullesbischen Archiv Hannover (SARCH), Hannover 2015.
(2) Recherche der homosexuellen Zeitschriften der Weimarer Republik im Schwulen Museum Berlin. Siehe auch Ralf Bogen, Dieter Salwik, Mathias Strohbach, Thomas Ulmer: Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit. In: Schwulst Sonderheft 3, April 2010, Hrsg.: Weissenburg e. V. und Schwulst e. V. S. 11-17.


Kontaktanzeigen

Aus dem Stuttgarter, Mannheimer, Heidelberger und Freiburger Raum sind folgende von Rainer Hoffschildt recherchierten Kontaktanzeigen in der Zeitschrift “Freundschaft” 1920 und 1921 und in den Zeitschriften “Der Eigene” und “Eros” 1927 und 1929 veröffentlicht worden (1):

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(Aus: Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit. Schwulst Sonderheft 3, April 2010, Hrsg.: Weissenburg e. V. und Schwulst e. V. S. 14.)
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(Aus: Rainer Hoffschildt: Kurze Chronik der Schwulen in Baden-Württemberg mit dem Schwerpunkt Nordbaden – Zusammenstellung aufgrund von Hinweisen aus dem Schwullesbischen Archiv Hannover (SARCH), Hannover 2015.)
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Aus: Eros 1. Jg., 1927, Nr. 5, S. 78
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Aus: Der Eigene, ca. 1929
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Aus: Der Eigene ca. 1929
Quelle:
(1) Recherche und Dokumente von Rainer Hoffschildt: Kurze Chronik der Schwulen in Baden-Württemberg mit dem Schwerpunkt Nordbaden – Zusammenstellung aufgrund von Hinweisen aus dem Schwullesbischen Archiv Hannover (SARCH), Hannover 2015.


Unterstützung der reichsweiten Vereine

Die beiden reichsweiten Emanzipationsvereine, das “Wissenschaftlich-humanitäre Komitee” und die “Gemeinschaft der Eigenen”, die sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg gegründet hatten, erhielten in den 1920er Jahren Unterstützungauch aus der Region Baden und Württemberg.

Wissenschaftlich-humanitäres Komitee

Das 1897 von Dr. Magnus Hirschfeld gegründete “Wissenschaftlich-humanitäre Komitee” hatte 1905 bereits 408 Mitglieder. 1921 fand in Stuttgart die Gründungsfeier eines Kreises statt, der sich vornahm, “im Sinne des wissenschaftlich-humanitären Komitees zu Berlin” für die homosexuelle Emanzipationsbewegung “energisch” zu wirken. “Damen und Herren, die für unsere Bestrebungen und für Zusammenkünfte im Sinne des W.h.K. Interesse haben, wollen sich unter Postlagerkarte 593 Stuttgart Hauptpost melden”, gab ein Artikel in der “Freundschaft” (Nr. 8/1921) bekannt.

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“Im Sinne des wissenschaftlich-humanitären Komitees…”
(Aus “Freundschaft” Nr. 8/1921 (1))

Als Kernaufgabe des Komitees war in seiner programmatischen Gründungserklärung festgelegt worden: “auf Grund sichergestellter Forschungsergebnisse und der Selbsterfahrung vieler Tausender endlich Klarheit darüber zu schaffen, daß es sich bei der Liebe zu Personen des gleichen Geschlechts, der sogenannten Homosexualität, um kein Laster und kein Verbrechen, sondern um eine von Natur tief in einer Anzahl von Menschen wurzelnde Gefühlsrichtung handelt”. (2)

Stimmen für die Entkriminalisierung

Magnus Hirschfeld initiierte eine Unterschriftensammlung gegen den § 175, die 1899 durch August Bebel, den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, im Reichstag unterstützt worden war. Von den insgesamt 6000 Ärzten, Professoren, Lehrern, Schriftstellern, Dichtern, Künstlern und Politikern, die sich für die Petition eingesetzt hatten, beteiligten sich auch bekannte Persönlichkeiten aus der Region des heutigen Baden-Württemberg:

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Petition gegen das Unrecht des § 175 vom Wissenschaftlich-humanitären Komitee
(Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Petition_gegen_175.jpg)

Stuttgarter, die mit vollem Namen die Petition gegen den § 175 unterstützten (3):

Barth, P., Schullehrer, Stuttgart
Bretschneider, Dr. Wilhelm, Prof., Stuttgart
Burckhardt, Dr. med. von, Ober Med Rat, Stuttgart
Diefenbach, Th., Rechtsanwalt, Stuttgart
Grotz, Dr. phil. K. M., Prof. am Karlsgymnasium, Stuttgart
Grunsky, Dr. Karl, Redakteur, Stuttgart
Gußmann, Dr. med. E., Ober Med Rat, Stuttgart
Hoxar, Wilhelm Freiherr. von, Hofschauspieler und Regisseur, Stuttgart
Jaeck, H., Buchhändler, Stuttgart
Jäger, Dr. med. Gustav, Prof. der Zoologie, Physiologie und Anthropologie, Stuttgart
Kautsky, Karl, Redakteur der “Neuen Zeit”, Stuttgart
Kraus, Dr. phil. Rudolf, Kgl. Archivassessor, Stuttgart
Krieg, Dr. Hofrat, Stuttgart
Krug, A., Realgymnasialprof., Stuttgart
Landauer, Eugen, Landgerichtsrat, Stuttgart
Maag, G., Präceptor am Karlsgymnasium Stuttgart
Mann, Dr. rer. nat. Eugen, Oberreallehrer, Stuttgart
Schrempf, Christoph, Professor, Stuttgart
Wilhelm, Oberlehrer und Vorstand der Realschule Feuerbach Stuttgart
Zaberer, Otto, Prof. Stuttgart

Beispiele von Professoren der Universität Heidelberg, die die Petition gegen den § 175 unterstützten (4):

Prof. Gerhard Anschütz, führender Staatsrechtler in der Weimarer Republik, Heidelberg.
Prof. Ernst Gerhard Dresel, Hygieniker, Heidelberg.
Prof. Arthur Drews, Philosoph und Schriftsteller, Karlsruhe.
Prof. Wilhelm Erb, Neurologe, Heidelberg.
Prof. Karl Jaspers, Philosoph, Heidelberg.
Prof. Anton Juracz, Heidelberg.
Prof. Wolfgang Mittermaier, Jurist, Heidelberg, später Gießen.
Dr. Alfred Mombert, Schriftsteller, Heidelberg.
Prof. Ludwig Sütterlin, Germanist, Heidelberg.
Prof. Richard Thoma, Staatsrechtslehrer, Heidelberg und Bonn.

Reichstagsausschuss für § 175-Abschaffung

In den 1920er Jahren sorgte ein gemeinsamer “Aktionsausschuss” aus allen relevanten Homosexuellen-Organisationen für eine weite Verbreitung der Petition in vielen Städten Deutschlands. Dies trug dazu bei, dass ein vom Reichstag eingesetzter Ausschuss für eine Strafrechtsreform sich am 16. Oktober 1929 für eine Legalisierung von “privaten einverständlichen” homosexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen aussprach. Infolge der Börsenkrise im November 1929 mit ihren ökonomischen und politischen Folgen kam es jedoch im Reichstag zu keiner Behandlung und Abstimmung über die Strafrechtsreform. (5)

Kurt Hiller und die Universität Heidelberg

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Kurt Hiller 1903 und seine Kampfschrift “§ 175: Die Schmach des Jahrhunderts” von 1922
(Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kurt_Hiller.jpg und https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hiller_tract_against_Paragraph_175.jpg)

Kurt Hiller (1885 – 1972), Pazifist, schwuler Aktivist und Schriftsteller, gehörte seit 1908 bis zu dessen gewaltsamer Auflösung durch die Nationalsozialisten dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) und dem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin an. Seit November 1929 war er zweiter Vorsitzender des WhK. Hiller hatte als Externer 1907 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg mit der Dissertation “Das Recht über sich selbst” zum Dr. jur. promoviert. Neben Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky und weiteren Autoren wie Erich Mühsam und Erich Kästner war er seit 1915 einer der wichtigsten Autoren der ‘Weltbühne’. Er veröffentlichte 1922 im Paul Steegemann Verlag seine 132-seitige programmatische Schrift “§175: Die Schmach des Jahrhunderts!” in einer Auflage von 3000 Exemplaren. Dreimal wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und in den KZ Columbiahaus, Brandenburg und Oranienburg misshandelt. 1934 gelang ihm die Flucht nach Prag. Nach 1945 kehrte Hiller nach Deutschland zurück. 1949 beteiligte er sich zeitweise an dem Versuch von Hans Giese, ein neues WhK zu gründen. (6)

“Gemeinschaft der Eigenen”

Mitgliedschaften aus unserer Region gab es auch bei der Homosexuellenorganisation “Gemeinschaft der Eigenen”, die 1903 aus dem Leserkreis der 1896 erstmals erschienenen Zeitschrift “Der Eigene” und aus einer Abspaltung von Mitgliedern des Wissenschaftlich-humanitären Komitees hervorgegangen war. Maßgeblicher Aktivist dieses Vereins war der Berliner Journalist und Schriftsteller Adolf Brand. In einem Schreiben vom 12. September 1924 teilt dieser dem neuen Mitglied Leonhard Junginger, wohnhaft in Heidenheim, Mitgliedsnummer 1530, mit: “Ehe ich Ihnen Adressen von Mitgliedern angebe, geben Sie mir bitte vorher noch Nachricht, welche Orte für Sie in Frage kommen. Ich werde nach ihrem Bescheid Ihnen dann einige Empfehlungen geben.” (2)

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(Quelle: Staatsarchiv Ludwigsburg F 263 Bü 50)
Quellen:
(1) Recherche der homosexuellen Emanzipationszeitschriften der Weimarer Republik im Schwulen Museum Berlin. Siehe auch Ralf Bogen, Dieter Salwik, Mathias Strohbach, Thomas Ulmer: Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit. In: Schwulst Sonderheft 3, April 2010. Hrsg.: Weissenburg e. V. und Schwulst e. V. S. 11-17.
(2) Staatsarchiv Ludwigsburg F 263 I Bü 50.
(3) Informationen über Stuttgarter Unterstützer der Petition gegen §175 nach Manfred Herzer in Capri Nr. 37, Berlin 2009.
(4) Recherche und Dokumente von Rainer Hoffschildt: Kurze Chronik der Schwulen in Baden-Württemberg mit dem Schwerpunkt Nordbaden – Zusammenstellung aufgrund von Hinweisen aus dem Schwullesbischen Archiv Hannover (SARCH), Hannover 2015.
(5) John Lauritsen, David Thorstadt: “Die frühe Homosexuellenbewegung 1864-1935”, Frühlings Erwachen 6, Hamburg 1984 und http://magnus-hirschfeld.de/institut/sexualreform/reform-des-sexualstrafrechts/, zuletzt gesehen am 5.7.2016.
(6) Siehe http://www.hiller-gesellschaft.de/, zuletzt gesehen am 11.9.2016. Zur umstrittenen Rolle von Hans Giese siehe Herausforderung: Transsexualität, Transgender und Intersexualität (Kim Schicklang und Christina Schieferdecker).


1915 bis 1929: Aktivist August Fleischmann

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August Fleischmann (1859 – 1931)
(Bildquelle (2))

Der am 17. August 1859 geborene August Fleischmann lebte von 1915 bis 1929 in Mannheim, wo er eine Buchhandlung in der Q 4, 7 betrieb. Zuvor hatte er in München gelebt, wo er aufgrund des § 175 verurteilt worden war. Nach seiner Entlassung hatte er sich nicht stillschweigend verhalten, sondern über die Gefahren der Erpressung auf Grundlage des § 175 aufgeklärt. So veröffentlichte er zwischen 1901 und 1919 dreizehn emanzipatorische Schriften, u. a. die Zeitschrift “Der Seelenforscher”, die sich schwerpunktmäßig dem Kampf gegen Erpressungen widmeten. Er warb darum, jeden Fall von Erpressung bei der Polizei anzuzeigen und übernahm hierfür die Anzeigenerstattung bei der Polizei. (1)

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Quelle: Rainer Hoffschildt – siehe (2)

In seiner Mannheimer Zeit bot er auch Beratungen an und veröffentlichte seine Aufklärungsschrift “Erosophische Probleme, Wissenschaftliche Studien aus dem Liebesleben” zum Thema Homosexualität. Wie zahlreiche von Rainer Hoffschildt recherchierten Annoncen belegen, bestritt August Fleischmann seinen Lebensunterhalt auch mit dem Vertrieb von “Jünglings-Akten”. Er starb 1931 in Weinheim. (2)

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Quelle: Rainer Hoffschildt – siehe (2)
Quellen:
(1) Albert Knoll: “Gott sei dank, dass ich so bin” – August Fleischmann, Splitter 11, forum homosexualität münchen e. v., Oktober 2007. S. 23
(2) Rainer Hoffschildt: Kurze Chronik der Schwulen in Baden-Württemberg mit dem Schwerpunkt Nordbaden – Zusammenstellung aufgrund von Hinweisen aus dem Schwullesbischen Archiv Hannover (SARCH), Hannover 2016.


1920: Freundschaftsbünde der “Invertierten”

Am 30. August 1920 gründete sich der reichsweite “Deutsche Freundschaftsverband”. In ihm hatten sich zunächst vier Berliner und fünf weitere Gruppen aus Hamburg, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt und Hannover mit dem Ziel der “vollen Anerkennungen der Homosexuellen in der Gesellschaft” zusammengeschlossen. Diesem reichsweiten Verband schlossen sich in den Jahren 1920 und 1921 der Stuttgarter Freundschaftsverband sowie ein Kreis von Invertierten aus Karlsruhe und Mannheim an. Neben der politischen Arbeit, insbesondere der Aufklärung der Öffentlichkeit und dem Kampf für die Entkriminalisierung der Homosexualität, pflegten diese Freundschaftsbünde das gesellige Beisammensein und dienten der Kontaktaufnahme sowie der gemeinsamen Freizeitgestaltung. (1)

Freundschaftsbund Karlsruhe

“Anständige, einheimische und auswärtige Gleichgesinnte”, die dem “Freundschaftsbund Karlsruhe” beitreten wollten, wurden 1920 in der “Freundschaft” “um Adressangabe unter Postlagerkarte 6, Karlsruhe” gebeten. Im “Internationalen Reiseführer” wurde für das Treffen die “Pension Humpe” in der damaligen Christianstraße 73 angegeben. Im Folgejahr kam man im “Prinz Wilhelm” in der Hirschstraße 20A zusammen. Anfang 1922 gab es einen erneuten Ortswechsel: Jetzt traf sich der Freundschaftsbund jeden Samstagabend um 20.00 Uhr im Restaurant “Zum Salmen” in der Waldstraße 55 am Ludwigsplatz in Karlsruhe. Ein “Stiftungsfest mit Festball” wurde dort am 6. Januar 1922 um 20 Uhr gefeiert. (2)


Ein wichtiger Treffpunkt des Freundschaftsbunds Karlsruhe: Das Restaurant „Zum Salmen“ am Ludwigsplatz in Karlsruhe.
(Bildquelle: Ralf Bogen)

Wie aus der “Freundschaft” Nr. 25 von 1921 hervorgeht, hatte sich der Karlsruher Freundschaftsbund spätestens 1921 dem reichsweiten Deutschen Freundschaftsverband angeschlossen. (3)

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Quelle: siehe (2)

Freundschaftsbund Mannheim

Auch in Mannheim hatten sich die Invertierten in einem Freundschaftsbund zusammengeschlossen. Dieser nannte sich “Okkulta”, abgeleitet vom Lateinischen occultus, was “verborgen”, “versteckt”, “geheim” bedeutet. In einer Annonce der Zeitschrift “Internationaler Reiseführer” wird als Vorsitzender der Mannheimer Aktivist August Fleischmann genannt. (2)

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Quelle: siehe (2)

Freundschaftsbund Stuttgart

Unter dem Vorsitz von Eugen Joseph, der in der Röthestraße 43 (heute heißt diese Straße Rötestraße) wohnte, traf sich der homosexuelle Verein “Freundschaftsbund Stuttgart” 1920 im Nebenzimmmer des Restaurants “Zur Alexanderecke” (Ecke Alexander- und Charlottenstraße). In einem Beitrag in Nr. 42 der Publikation “Freundschaft” bittet der Bund “alle Invertierten, sich uns anzuschließen”. Er gibt bekannt, dass “unser Verein […] sich jetzt dem großen Verbande angegliedert” habe, womit der reichsweite “Deutschen Freundschaftsverband” gemeint war. (1)

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Freundschaft 1920 Nr. 42 (1)
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Einladung der Ortsgruppe Stuttgart zum Frühlingsfest im Freundschaftsblatt 1920 Nr. 2 (4)
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Beiträge über den “Freundschaftbund Stuttgart” in der Freundschaft 1920 (4)

“Zehn Gebote” der Freundschaft

1920 hatte die “Freundschaft” durch sogenannte “Zehn Gebote” deutlich gemacht, worauf der Invertierte zu achten habe. So hieß es hier:

“Such Dir einen Freund, der Dich liebt, Dir innerlich nahe steht. […] Laß Dir bei deinem Freunde nicht das Körperliche zur Hauptsache werden. Sei ihm im wahrsten Sinne des Wortes Freund, Helfer in allen Lebenslagen. […] Sei zufrieden mit Deinem Freunde, auch wenn er nicht in allem Dein Ideal ist – einen Menschen, der Dir in allem voll und ganz entspricht, der auch in Dir die Erfüllung seiner höchsten Wünsche sieht, zu finden, ist kaum möglich. Bedenke, daß das Suchen nach Deinem völligen Ideal Dir fortgesetzte Enttäuschungen bringen und Dich leicht zum schlechten Menschen machen kann. […] Betrachte Deine Veranlagung nie als etwas Unrechtes, Krankhaftes, denn was Du tust ist Deine Natur. Die Nichterfüllung Deines Naturgesetzes kann nur ein Mensch von Dir verlangen, der unserer Sache aus Mangel an naturwissenschaftlichen Kenntnissen und falschem Moralgefühl verständnislos gegenübersteht. Die Hauptsache muß dir sein, daß Du das, was Du tust, vor Gott und Dir selbst verantworten kannst.”

Unterschrieben war dies mit: “Von einem Stuttgarter Freund”. (5)

Quellen:
(1) Recherche der homosexuellen Publikationen der Weimarer Zeit im Schwulen Museum Berlin. Siehe auch Ralf Bogen, Dieter Salwik, Mathias Strohbach, Thomas Ulmer: Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit. In: Schwulst Sonderheft 3, April 2010. Hrsg.: Weissenburg e. V. und Schwulst e. V. S. 11-17.
(2) Recherche und Dokumente von Rainer Hoffschildt: Kurze Chronik der Schwulen in Baden-Württemberg mit dem Schwerpunkt Nordbaden – Zusammenstellung aufgrund von Hinweisen aus dem Schwullesbischen Archiv Hannover (SARCH), Hannover 2015.
(3) Siehe Jens Dobler: Von anderen Ufern – Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichsrhain. Berlin 2003, S. 71-76.
(4) Ich danke Claudia Weinschenk für die recherchierten Dokumente aus dem Freundschaftsblatt und der Freundschaft 1920.
(5) Zitiert nach: Hans-Georg Stümke/Rudi Finkler: Rosa Winkel, Rosa Liste – Homosexuelle und “Gesundes Volksempfinden”, Hamburg 1981, S. 33ff.


Ab 1923 bis 1933: Ortsgruppen des “Bundes für Menschenrecht”

Von Anfang an gab es innerhalb des reichsweiten “Deutschen Freundschaftsverbands” Auseinandersetzungen um die Frage, welchen Anteil politische Emanzipationsbestrebungen in der Arbeit des Verbands haben sollten. Es setzten sich diejenigen Kräfte durch, die den politischen Anspruch auch in der Namensnennung zum Ausdruck bringen wollten. Am 11. Mai 1923 nannte sich der Verband um in “Bund für Menschenrecht e. V.”. Die Freundschaftsbünde Karlsruhe und Stuttgart taten es ihm gleich.

Größter homosexueller Verein

Der Bund für Menschenrecht e. V. hatte nach eigenen Angaben 1924 12.000 und fünf Jahre später, in 1929, bereits 48.000 Mitglieder sowie ausländische Stützpunkte in Buenos Aires, Zürich und Wien. Auch wenn die Zahlenangaben umstritten sind, war der Bund zweifellos mit Abstand der größte homosexuelle Verein der Weimarer Republik.(1) Er brachte die o. g. Monatszeitschrift “Blätter für Menschenrecht” heraus, in der das Hauptziel der Organisation wie folgt genannt wird: “Straffreiheit für alle homosexuellen Handlungen, die von erwachsenen Personen aus freiem Willen und im gegenseitigen Einverständnis miteinander vorgenommen werden.” (2) In “Blätter für Menschenrecht” Nr. 11, November 1929, wurde als Motto verkündet: “Rein die Hand, Blank die Waffe, Offen das Visier”. Die Homosexuellen bezeichneten sich darin jetzt nicht mehr als “Invertierte”, sondern als “Homoeroten”. (3)

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Aus: Blätter für Menschenrecht Nr. 11, November 1929 – Quelle siehe (4)

Bund für Menschenrecht Karlsruhe

Trotz der Unterstreichung der politischen Bedeutung mit der Namensumbenennung wurde in Karlsruhe zu einem eher unpolitischen “Kostümfest” an Fasching auch noch nach der Namensumbenennung eingeladen. (5)

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Quelle siehe (5)

Bund für Menschenrecht Stuttgart

Die Stuttgarter Ortsgruppe des Bundes für Menschenrecht traf sich 1929 jeden Mittwoch im Restaurant “Blauer Bock” in der Lindenstraße 31. Knapp anderthalb Jahre später, im Juni 1930, traf man sich bereits drei Mal in der Woche und zwar mittwochs, samstags und sonntags. In der Zwischenzeit hatte man auch den Ort gewechselt: nun war das Lokal “Zum Josefle” in der Gutenbergstraße 50a angesagt. Auch in Stuttgart wurde am 4. Februar 1933, also noch nach der Machtübernahme der NSDAP, in einer Anzeige in der zuletzt herausgegebenen homosexuellen Zeitschrift “Das Freundschaftsblatt” zu einem “Zille-Ball” (= Maskenball) im Stuttgarter Saalbau Rosenau in der Rotebühlstraße 109b eingeladen. Ob der Ball noch stattgefunden hat und was gegebenenfalls aus den Teilnehmern in den Folgejahren geschehen ist, ist uns nicht bekannt. (4)

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Tanzveranstaltungen und Maskenbälle des Bunds für Menschenrecht Stuttgart im Saalbau Rosenau in der Stuttgarter Rotebühlstraße
(Bildquelle: Ralf Bogen)

Bund für Menschenrecht Mannheim

1927 ist in der Publikation “Blätter für Menschenrecht” auch eine Ortsgruppe Mannheim des Bundes für Menschenrecht e.V. unter Gregor Doll, H. 4, Nr. 10, verzeichnet. In der Zeitschrift Eros, die für die “Gemeinschaft der Eigenen” von Adolf Brand steht, werden “alle Freunde unserer Sache von Mannheim und Umgebung … zur Gründung einer Tafelrunde eingeladen.” 1929 traf man sich im “Weißen Elefant” in H. 6, 2 und auch im “Frankfurter Hof”, S. 2, 15A. Der Wirt Willy Himmer vom “Frankfurter Hof” warb damit, dass sich “Freundinnen und Freunde” “ungestört” in einem gemütlichen Nebenzimmer unterhalten konnten.

Im “Freundschaftsblatt” wurde für 1931 vom “Bund für Menschenrecht e.V.” gemeldet: “Mannheim und Umgebung. Hier ist jetzt eine Ortsgruppe gegründet worden, die sich bereits großen Zuspruchs erfreut. Einwandfreie Artgenossen, die sich anschließen wollen, auch aus der Umgebung Mannheims”, können brieflich “Näheres” erfahren. (5)

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Quelle siehe (5)

Diese Gruppe bestand noch 1932/1933. Die “Zusammenkünfte” fanden “regelmäßig samstags und sonntags im Bundeslokal ‚Schloß-Hotel, Mannheim, M. 5, Nr. 8/9, separater Eingang (beim Portier)” statt. Bei der ersten Generalversammlung des Jahres der Ortsgruppe Mannheim des Bundes für Menschenrecht e.V., am 14. Januar 1933, bedauerte man allerdings, dass man sich nicht mehr im “Schloß-Hotel” treffen könne, da es geschlossen worden sei. Man treffe sich nun im “Hotel Central”, Kaiserring 26, heute Central Hotel. Erster Vorsitzender der Gruppe war Herr Vogelmann, Kassierer Herr Mitteldorf und Schriftführer Herr Schreck. Danach dürfte man sich nur noch heimlich getroffen haben. Zitat aus dem Bericht von 1933: “Die Stunden im Bund für Menschenrecht e. V. werden euch zu Freudenstunden des Lebens werden.” (5)

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Treffpunkt des Bund für Menschenrecht Mannheim im „Hotel Central“, Kaiserring 25 in Mannheim
(Bildquelle: Ralf Bogen)
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Quelle siehe (5)
Quellen:
(1) Siehe Till Bastian: Homosexuelle im Dritten Reich, München 2000, S. 20 und Grau, Lexikon der Homosexuellenverfolgung, Berlin 2011, S. 58.
(2) Siehe Blätter für Menschenrecht Nr. 1, Januar 1929, Nr. 6, Juni 1930 und Nr. 9, September 1931.
(3) Siehe Blätter für Menschenrecht Nr. 11, November 1929.
(4) Recherche der homosexuellen Publikationen der Weimarer Zeit im Schwulen Museum Berlin. Siehe auch Ralf Bogen, Dieter Salwik, Mathias Strohbach, Thomas Ulmer: Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit. In: Schwulst Sonderheft 3, April 2010. Hrsg.: Weissenburg e. V. und Schwulst e. V. S. 11-17.
(5) Recherche und Dokumente von Rainer Hoffschildt: Kurze Chronik der Schwulen in Baden-Württemberg mit dem Schwerpunkt Nordbaden – Zusammenstellung aufgrund von Hinweisen aus dem Schwullesbischen Archiv Hannover (SARCH), Hannover 2015.


Gefahr der NSDAP unterschätzt

In den “Blättern für Menschenrecht” vom April 1929 wurde eine Umfragestatistik aus dem Jahre 1926 veröffentlicht, aus welcher der Beruf, die bevorzugte politische Partei (Parteizugehörigkeit bzw. Wahlentscheidung) und das Alter ihrer Abonnenten hervorgehen. 50.000 Fragebögen waren demnach versandt worden, von denen 37.862 bei Beruf, 37.150 bei bevorzugte politische Partei und 37.552 bei Alter ausgefüllt zurückkamen. 671 Personen waren demnach verheiratet und 298 geschieden.

Umfrage bei den “Blätter für Menschenrecht”-Abonnenten

Anzahl Beruf
12482 Kaufleute
7677 Handwerker
5623 Arbeiter
3218 Beamte
2986 Künstler
2610 Studenten
2404 Gastwirtgewerbe
862 Lehrer
37.862 Gesamt

 

Anzahl Politische Parteizugehörigkeit/Wähler von …
9207 Sozialdemokratische Partei
8112 Deutschnationale Partei
7002 Kommunistische Partei
6701 Parteilos
2903 Zentrum
1917 Deutsche Volkspartei
1292 Völkische Partei
19 Deutsch-Hannoveraner
37.150 Gesamt

 

Anzahl Alter
1181 Zwischen 18 und 20 Jahren
7610 Zwischen 21 und 25 Jahren
10402 Zwischen 26 und 30 Jahren
8127 Zwischen 31 und 35 Jahren
6501 Zwischen 36 und 40 Jahren
2504 Zwischen 41 und 45 Jahren
1003 Zwischen 46 und 50 Jahren
216 Zwischen 51 und 55 Jahren
18 Zwischen 56 und 60 Jahren
37.562 Gesamt
Quelle: Blätter für Menschenrecht, Nr. 4, April 1929, S. 14 – Schwules Museum Berlin

Keine klare Distanzierung von der NSDAP

Infolge der Weltwirtschaftskrise erstarkte die NSDAP auch in Baden und Württemberg (1928: in Baden noch 2,9 % und in Württemberg nur 1,9 %, während es 1933 in Baden bereits 45,4 % und in Württemberg 43,9 % waren):

Stimmenanteile der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1928 bis 1933 in Baden, Württemberg und im Reich:

1928 1930 1932-I 1932-II 1933
Baden 2,6 % 19,2 % 39,9 % 34,1 % 45,4 %
Württemberg 1,9 % 9,4 % 30,5 % 26,5 % 42,0 %
Deutsches Reich 2,6 % 18,3 % 37,3 % 33,1 % 43,9 %
Quelle: Reinhold Weber: Baden und Württemberg 1918-1945, Leinfelden-Echterdingen 2008, S. 118

Zu einer klaren Distanzierung von der NSDAP wegen ihres Antisemitismus und ihrer Ablehnung demokratischer Grund- und Menschenrechte konnte sich der Bund für Menschenrecht im Gegensatz zum Wissenschaftlich humanitären Komitee und der Gemeinschaft der Eigenen nicht durchringen. (1) Bezeichnend war die Haltung des Bundes zu den im April 1931 beginnenden öffentlichen Angriffen auf den SA-Führer Ernst Röhm wegen dessen Homosexualität. Röhm war wie weitere NSDAP-Angehörige Mitglied des Bundes für Menschenrecht gewesen. Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegenüber NSDAP-Mitgliedern gab es nicht. Der Bund rief trotz angeblich politisch neutraler Haltung 1931 zu einem Wahlboykott der SPD auf, weil diese Röhm als homosexuell denunzierte hatte. Das ist insofern erstaunlich, weil der linke Teil der SPD wie auch die KPD in der Weimarer Republik am ehesten für die Belange der homosexuellen Organisationen eingetreten waren und gegenüber der emanzipatorischen homosexuellen Bewegung eine grundsätzlich wohlwollende Einstellung eingenommen hatten. (2) Demgegenüber konnte sich der Bund für Menschenrecht nicht zum Wahlboykott der NSDAP durchringen, die immerhin in ihrer Parteipresse bereits in der Weimarer Republik die Todesstrafe für homosexuelle Männer gefordert hatte. (3) Damalige Umfragen belegen, dass das Erstarken der NSDAP auch Mitglieder des Bundes für Menschenrecht beeinflusste. Die Gefahr, die von der NSDAP für ihr Leben ausging, wurde nicht erkannt. (4) Wie die Ortsgruppen des Bundes in Baden und Württemberg sich zum Erstarken der NSDAP konkret verhalten haben, ist uns nicht bekannt.

Quellen:
(1) Stefan Micheler: Zeitschriften und Verbände in der Weimarer Republik. In: Jahrbuch der Homosexualitäten, Hamburg 2008, S. 37.
(2) Siehe W. U. Eissler: “Arbeiterparteien und Homosexuellenfrage. Zur Sexualpolitik von SPD und KPD in der Weimarer Republik”. Hamburg 1980. Die kommunistische Reichstagsfraktion beantragte im Juni 1924 z. B. die Abschaffung des §175 und Amnestie für alle Verurteilten. “Es ist in der Geschichte unseres Kampfes immerhin bemerkenswert, dass hier zum ersten Male ein ausdrücklicher Antrag auf Außerkraftsetzung des § 175 von einer politischen Partei gestellt wird”, kommentierte Hirschfeld diese Initiative der KPD. Allerdings, so schränkte er ein, sei die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema bei der KPD noch sehr zurückgeblieben und stattdessen das Vorurteil verbreitet, dass Homosexualität “unproletarisch” sei (siehe Manfred Herzer: Magnus Hirschfeld, Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen. Frankfurt/Main 1992, S. 44f). Insbesondere die Wiedereinführung der Strafbarkeit mann-männlicher Sexualität in der Sowjetunion am 7.3.1934 änderte die fortschrittliche Haltung vieler Kommunisten in der sog. Homosexuellenfrage in den nachfolgenden Jahren – siehe hierzu http://www.etuxx.com/diskussionen/foo400.php, zuletzt gesehen am 25.7.2016.
(3) Siehe z. B. “Völkischen Beobachter” vom 2.8.1930: “Alle boshaften Triebe der Judenseele, den göttlichen Schöpfungsgedanken durch körperliche Beziehungen zu […] Gleichgeschlechtlichen zu durchkreuzen, werden wir in Kürze als das gesetzlich kennzeichnen, was sie sind, als […] allerschwerste mit Strang oder Ausweisung zu ahndende Verbrechen”. Zitiert nach: Stümke/Finkler: Rosa Winkel, Rosa Listen. Hamburg 1981. S. 96.
(4) Siehe Stefan Micheler: Zeitschriften und Verbände in der Weimarer Republik. In: Jahrbuch der Homosexualitäten, Hamburg 2008, S. 37.

 

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