* 1.4.1909 Kirrlach

† 10.8.1942 Stuttgart (Tod durch Hinrichtung)


Bildrechte: Archives départementales du Bas-Rhin (1134W20), http://archives.bas-rhin.fr

„Hauptwachmeister d.Sch. (der Schutzpolizei) Josef Martus, geb. am 1.4.09 in Kirrlach, wurde vom SS- und Pol.Gericht in Stuttgart zum Tode verurteilt und am 10.8.42 in Stuttgart hingerichtet“. Was war diesem Schreiben des Straßburger Polizeipräsidenten vom 11. August 1942, gerichtet mit dem Betreff „Ausscheiden eines Angehörigen der Schutzpolizei aus der Wehrüberwachung“ an den Arbeitsstab des Wehrbezirkskommandos in Straßburg, vorausgegangen? Inwiefern war es für das Todesurteil von Bedeutung, dass und wann der Verurteilte „über den Erlaß des Führers zur Reinhaltung von SS und Polizei vom 15. November 1941 […] eingehend belehrt worden“ war, wie er am 10.Februar 1942 mit seiner Unterschrift bestätigt hat?

Nach Tätigkeiten in der elterlichen Landwirtschaft und als Forstgehilfe beim Bad. Forstamt trat Martus am 2. September 1929 in die badische Polizei ein, in der er an unterschiedlichen Dienststellen in Karlsruhe, Freiburg, Waldshut, Pforzheim und ab Mai 1936 in Mannheim, nun bei der Schutzpolizei, eingesetzt war. Am 10. Oktober 1936 schloss er die Ehe mit Charlotte Spindler, die am 16. März 1937 einen Sohn gebar. Am 1. Mai 1937 trat er in die NSDAP ein. Im April 1938 wurde er zur Schutzpolizei Heidelberg versetzt, wo er 9 Monate magenkrank und dann 6 Wochen in einer Polizeikuranstalt war. Anschließend kam er am 2. September 1940 zur Schutzpolizei nach Straßburg. In der von Oberstleutnant und Kommandeur der Schutzpolizei Hepperle unterzeichneten Urkunde vom 1. Oktober 1941 über die Ernennung zum Hauptwachmeister heißt es: „Ich vollziehe diese Urkunde in der Erwartung, daß der Ernannte getreu seinem Diensteide seine Amtspflichten gewissenhaft erfüllt und das Vertrauen rechtfertigt, das ihm durch diese Ernennung bewiesen wird. Zugleich darf er des besonderen Schutzes des Führers sicher sein“.

Am 31. März 1942 wurde Martus in Straßburg festgenommen und der Kriminalpolizei zur weiteren Klärung des Sachverhalts überstellt. Anlass war eine Vorsprache seiner Ehefrau an diesem Tag bei seiner Dienststelle, wobei sie ihren Mann verdächtigte, mit einem Mann namens Eggermann homosexuelle Beziehungen zu haben. Dieser wurde ebenfalls festgenommen und in ein Untersuchungsgefängnis verbracht. Der weitere Ablauf wird im Feldurteil des SS- und Polizeigerichts XI vom 15. Mai 1942 wie folgt geschildert:

„Der diensthabende Polizeihauptwachtmeister brachte dem Angeklagten gegen 18 Uhr das Essen in die Zelle. Er entfernte sich aus der Zelle, ohne dabei die Zellentüre zu schliessen und begab sich auf eine in einer leeren Zelle befindliche Toilette, um dort seine Notdurft zu verrichten. Der Angeklagte benutzte die Gelegenheit und schlug die Zellentüre zu, in der sich der Aufsichtsbeamte befand. Der Angeklagte eilte auf den Hof hinaus, nahm sich dort ein Fahrrad aus dem Fahrradständer heraus und flüchtete auf dem Fahrrad. […] Der Angeklagte fuhr dann mit dem Fahrrad bis vor die Stadt, wo er seinen Uniformrock und Mütze an einem Kanal ablegte und sich den Zivilmantel anzog. Der Angeklagte fuhr nunmehr wieder in die Stadt zurück und fragte von einer öffentlichen Fernsprechzelle bei dem Untersuchungsgefängnis an, ob sich Eggermann dort befinde. Als dem Angeklagten dies bejaht wurde, fuhr der Angeklagte in die Wohnung eines ihm bekannten Homosexuellen weiter und beauftragte diesen – einen gewissen Regisser – nachzuschauen, ob die Wohnung Eggermanns bewacht werde. Der Angeklagte rief von der Wohnung Regissers noch einmal das Gefängnis an und erklärte, dass er Eggermann zu einem kurzen Verhör abholen werde. Inzwischen war Regisser zurückgekommen und hatte mitgeteilt, dass die Wohnung Eggermann bewacht werde. Der Angeklagte begab sich nun in das Gefängnis, wo ihm trotz seiner mangelhaften Bekleidung Eggermann herausgegeben wurde. […] Eggermann begab sich im Laufe des Abends zu einem gewissen Lux, der mit ihm auf der gleichen Arbeitstelle arbeitete und bat ihn, ihm aus dem Kassenschrank des Werkes einen bestimmten Briefumschlag mitzubringen und ihn auf Verlangen an Regisser herauszugeben. Der Briefumschlag enthielt deutsches und französisches Geld, das der Angeklagte und Eggermann für eine etwaige Flucht bereit gelegt hatte. Lux meldete den Vorgang jedoch der Kriminalpolizei. Als Regisser am 1.4.1942 vormittags in das Werk kam, um den Briefumschlag abzuholen, konnte er von der Kriminalpolizei festgenommen werden. Regisser nannte den Aufenthaltsort des Angeklagten und von Eggermann, sodass beide am 1.4.1942 wieder festgenommen werden konnten.“

Laut Vernehmungsprotokoll der Kriminalpolizei Straßburg – Kriminaloberassistent Hirsch – vom 1. April 1942 gab Martus „zur Sache“ an, im Monat Februar oder März 1941 habe er in den Heitz-Gaststätten den elsässischen Staatsangehörigen Eugen Eggermann kennen gelernt. Er habe sich dann ab und zu mit Eggermann wieder getroffen und sei auch öfters bei ihm in der Wohnung, in der Kesselgasse Nr.5, gewesen. Am 1. Juli 1941 sei Eggermann auf seine Veranlassung hin nach der Gewerbslaube Nr.17 verzogen. Zum gleichen Zeitpunkt etwa sei der Umzug mit seiner Familie nach Straßburg erfolgt. Seine Frau sei für 5 Wochen zu ihrer Schwester gegangen, weshalb er sich bei Eggermann in seiner Wohnung ein Zimmer habe einrichten lassen. Nachdem seine Frau wieder nach Straßburg zu ihm gekommen sei, habe er etwa 5 Wochen mit ihr zusammengelebt. Sie seien „dann immer gegenseitig in Streit“ gekommen, weshalb er sich entschlossen habe, “immer bei Eggermann in der Wohnung zu verbleiben.“ Ab und zu sei es dann vorgekommen, dass er auch zu seiner Frau nach Hause gegangen sei und beabsichtigt habe, mit ihr wieder zusammen zu leben.

Bei seiner zweiten Vernehmung am folgenden Tag, den 2. April 1942, gab Martus an: „Ich will nun heute die Wahrheit sagen, denn ich sehe ein, daß ich mit meiner Lügnerei nicht vorwärts komme. Ich entsinne mich, daß ich nach mehrmaligen Zusammentreffen mit Eggermann anlässlich meines Geburtstages am 1.April 1941 zum ersten Male homosexuelle Beziehungen hatte und zwar in der Weise, daß wir in der Nacht uns zusammen ins Bett legten. An diesem Tage war ich stark angetrunken […]. In der Folgezeit traf ich dann mit Eggermann des Öfteren in seiner Wohnung Kesselgasse Nr.5 zusammen, wo wir uns durch wechselseitige Onanie befriedigten. […] Die letzten homosexuellen Beziehungen hatte ich nach meiner Erinnerung mit Eggermann vor etwa 3 – 4 Wochen. […] Ich sehe ein, daß ich mich durch mein Verhalten und meine Handlungen besonders als Polizeibeamter schwer strafbar gemacht habe. Ich weiß auch, daß nach den Erlassen der RFSSuCHdDtPol.i.RMDJ. angeordnet hat, daß der [sic!] Angehörige der Polizei die Todesstrafe auf Homosexuellen [sic!] steht. Dieser Erlaß wurde mir vor etwa 14 Tagen unterschriftlich eröffnet. Ich erkläre und betone ausdrücklich, daß ich seit diesem Zeitpunkt mit Eggermann keinen homosexuellen Verkehr mehr hatte. […] Ich verspreche in Zukunft mit meiner Familie wieder gut zusammen zu leben und für meine Frau und mein Kind zu sorgen.“

Am 7. April wurde Martus nochmals von Krim.Ob.Asst. Hirsch vernommen. Dabei gab er auf Vorhalt an: “Wenn mir vorgehalten wird, daß ich den Erlaß des RFSSuCH.d.Dt.Pol. am 12. Februar 1942 unterschrieben habe , so muß ich sagen, daß dies möglich sein kann. Ich behaupte aber auch zugleich, daß ich trotzdem seit diesem Zeitpunkt mit Eggermann keine homosexuellen Beziehungen mehr hatte, obwohl dies nun schon lange her ist und ich bis zu meiner Festnahme bei Eggermann gewohnt habe. Ich stand aber nur noch in freundschaftlicher Beziehung mit Eggermann.“

Im „Feld-Urteil“ des SS- und Polizeifeldgerichts vom 15. Mai 1942 setzte sich das Gericht eingehend mit der Frage auseinander, ob Martus und Eggermann noch nach der Bekanntgabe des Führer-Erlasses vom 15. November 1941 an Martus am 10. bzw. 12. Februar 1942 sexuell miteinander verkehrt hatten. Es sei zur „vollen Überzeugung“ gekommen, „dass der Angeklagte und Eggermann in ihren Vernehmungen vom 2.4.1942 bzw. 7.4.1942 die Wahrheit gesagt und in der Hauptverhandlung gelogen haben. Der Angeklagte hat sicherlich seinem Freunde Eggermann von dem Erlass Kenntnis gegeben. Unmittelbar nach ihrer Inhaftierung werden der Angeklagte und Eggermann sich der Bedeutung ihrer Aussagen nicht so vor Augen geführt haben, während ihnen später zum Bewusstsein gekommen ist, wie stark insbesondere der Angeklagte mit einer derartigen Aussage belastet werde. Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und Eggermann bestand noch in aller Stärke, wie sich daraus ergibt, dass der Angeklagte in einem Abschiedsbrief lediglich bittet, Eggermann zu grüssen, ohne auch nur mit einem Wort seiner Frau oder seines Sohnes zu gedenken. […] Wie bereits erwähnt, hat es das SS- und Polizeifeldgericht als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte auch noch nach dem 12.2.1942 widernatürlichen Verkehr mit Eggermann gehabt hat. Das Verhältnis des Angeklagten zu Eggermann ist eindeutig eine widernatürliche Unzucht im Sinne des § 175 RStGB gewesen. Es handelt sich dabei um eine fortgesetzte Tat. Da ein Teil dieser fortgesetzten Tat noch unter den Geltungsbereich des Erlasses des Führers vom 15.11.1941 fällt, ist die gesamte fortgesetztes Tat nach diesem Erlass zu beurteilen. […] In der Frage der Strafzumessung hat es für das SS-und Polizeifeldgericht eigentlich keinen Zweifel darüber gegeben, dass der Angeklagte zum Tode zu verurteilen war. Das SS- und Polizeigericht war der Ansicht, dass der Angeklagte derart dem widernatürlichen Verkehr verfallen ist, dass nicht zu erwarten ist, dass er seine Haltung noch einmal ändert. Das Auftreten des Angeklagten in der Hauptverhandlung war derart weich und seine Haltung so weiblich, dass der Angeklagte den Eindruck eines typisch Homosexuellen erweckte. […] In dem Erlass des Führers ist ausdrücklich bestimmt, dass für strafbare Handlungen nach § 175 und § 175a die Todesstrafe verhängt werden soll. Ein Unterschied bezüglich der Bewertung ist insoweit zwischen den beiden Vorschriften nicht gemacht worden. Es sind also auch grundsätzlich die Fälle des § 175 RStGB mit dem Tode zu bestrafen Da nach Ansicht des SS- und Polizeifeldgerichts ein minderschwerer Fall nicht vorlag, war auf die Todesstrafe zu erkennen. Der Angeklagte hat sie auch verdient.“ (Staatsarchiv Straßburg, Signatur: 1134W20).

(Wir danken Jean-Luc Schwab für Informationen und dem Staatsarchiv Straßburg)

© Text und Recherche bzw. Anmerkungen zu überlieferten Dokumenten: Werner Biggel / Ralf Bogen



„Führererlass zur Reinhaltung von SS und Polizei“, das Todesurteil und ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass es am 10. August 1942 in Stuttgart durch Hinrichtung vollstreckt wurde.
Bildrechte: Archives départementales du Bas-Rhin (1134W20), http://archives.bas-rhin.fr

pin3d428b  Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Heidelberg, Lenaustraße 3


Täterort in Baden-Württemberg:
SS- und Polizeigericht Stuttgart

Weiterer Täterort:
Kriminalpolizei Straßburg