* 9.10.1912 Neuherblingen

wolff-stal-el-334-i_bue-2413_0001

Franz Wolff wurde am 9. Oktober 1912 als 14. von 19 Kindern der Familie in Neuherblingen bei Schaffhausen in der Schweiz geboren und evangelisch getauft. Der Ledige wohnte später in Stuttgart und war als Kaufmann tätig. Später diente er als Soldat, als Schütze.

Am 3. September 1938 verurteilte den 25-Jährigen das Landgericht Stuttgart wegen 18 Diebstählen, Betrugs, „widernatürlicher Unzucht“ und noch anderen Straftaten zu zwei Jahren und zwei Monaten Gefängnis, abzüglich von zwei Monaten Untersuchungshaft. Man verurteilte ihn zusammen mit drei weiteren Personen. Darunter war auch Karl Zeh aus Stuttgart, der die KZ Sachsenhausen, Flossenbürg, Auschwitz und Mauthausen überlebte. Zwei Jugendliche aus Stuttgart wurden ebenfalls bestraft, aber milde.

Zur Strafverbüßung transportiert man Wolff in das Gefängnis Rottenburg und von dort im Januar 1939 in das Strafgefangenenlager Rodgau, Lager II, in Oberroden in Hessen. Dort beschrieb man ihn beim Zugang wie folgt: 1,82 m groß, kräftige Gestalt, rasiert, braune Augen und dunkelblondes Haar. Anscheinend entließ man ihn vorzeitig aus der Haft, vermutlich weil er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Die zweite einschlägige Strafe von sechs Monaten Gefängnis wegen „widernatürlicher Unzucht“ erfolgte am 25. Juli 1940 durch das Feldkriegsgericht des Höheren Kommandos XXXIII.

Am 10. April 1941 verurteilte ihn erneut ein Wehrmachtsgericht, das Gericht der Div. 165 – St.K.II 385/40 in Ulm wegen „widernatürlicher Unzucht – §§ 175 Abs. 1, 20a, Abs. 1., 32 RSTGB“ zu zwei Jahren Zuchthaus und zu zwei Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Außerdem verurteilte ihn das Gericht als „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“ zur zeitlich unbefristeten Sicherungsverwahrung, nachdem er seine Strafhaft verbüßt hätte. Zudem stufte ihn das Gericht als „wehrunwürdigen Kriegstäter“ ein. Diese Täter verwahrte man zwar weiterhin in Haft, ihre eigentliche Strafe sollten sie aber erst nach Kriegsende verbüßen. Die Haft sollte unter erschwerten Bedingungen erfolgen, z.B. in den Emslandlagern. Dies sollte Straftäter davor abschrecken, sich durch eine Straftat dem gefährlichen Dienst an der Front zu entziehen. Für die Straftäter wurde die Haft dadurch unabsehbar lang. Die Richter wollten ihn also für alle Zeiten aus der deutschen „Volksgemeinschaft“ ausscheiden. Offenbar gab es im April 1941 noch eine Revisionsverhandlung, in der man aber zum gleichen Ergebnis kam. Mit diesem Urteil war er aus der Wehrmacht ausgeschlossen und die zivile Staatsanwaltschaft Freiburg i. Br. wurde für seinen Strafvollzug zuständig.

Man transportierte ihn in das Wehrmachtsgefängnis in Freiburg und von dort am 12. Juni 1941 zur Schwerstarbeit im Moor in das Strafgefangenenlager Aschendorfer Moor im Emsland. Dann überführte man ihn zu einem nicht bekanntem Zeitpunkt wegen erheblicher Unterernährung und weil er an offener Lungentuberkulose erkrankte in das Zuchthaus Ludwigsburg. Am 26. Mai 1943 verlegte man ihn erneut in ein Emslandlager, diesmal in das Lager Walchum. Weiter ging es am 26. Juli 1943 in das Lager Nord in Nord-Norwegen, wo die Häftlinge unter schrecklichen Bedingungen im Straßenbau arbeiteten und die Straßen schneefrei halten sollten.

Er überlebte den NS-Terror; allerdings erlitt er schwere Gesundheitsschäden. Am 5. Mai 1950 verurteilte das Landgericht Stuttgart den 37-Jährigen erneut wegen „eines Verbrechens der erschwerten Unzucht zwischen Männern nach § 175a StGB“ und wegen Begünstigung zu neun Monaten Gefängnis. Er wurde also nach einem 1935 vom NS-Regime neu eingeführten Paragraphen verurteilt, der erst 1969 in der Bundesrepublik abgeschafft wurde. Zur Strafverbüßung überführte man ihn in die Landesstrafanstalt Ludwigsburg, die er ja schon aus der NS-Zeit kannte. Dort beschrieb man ihn und entschied über ihn auf einer Konferenz am 22. September 1950 folgendermaßen:

„W. ist ein Mann mit homosexueller Triebrichtung, der über seinen anlagemäßigen abnormen Drang nicht Herr wird. Angeblich sollen vier Abkömmlinge der Familie mit dem gleichen Leiden behaftet sein. In der Zeit von 1938-1945 war er nur wenig ein freier Mann. […] Die jetzige Strafe von 9 Monaten Gefängnis erhielt W. wegen erschwerter Unzucht mit Männern. Wenn er von der Strafe beeindruckt ist, so nicht etwa, weil er in sich ging, sondern weil nach seiner Auffassung eine Bestrafung auf Grund des § 175 eine Kulturschande der deutschen Gesetzgebung ist. Durch diese einseitige Einstellung und seinen anlagenmäßigen Trieb wird auch dieses mal eine Besserung in seinen abnormen Handlungen nicht eintreten. […]

Um seinen phantasievollen Gedankengängen nicht freien Lauf zu lassen, wollte man ihn zuerst der Schneiderei zuweisen. Da er dies aber als eine Vergünstigung angesehen hätte und unter Umständen sich in seinen Anschauungen unterstützt gefühlt hätte, wurde die strenge Einzelhaft bei Tage wie bei Nacht für die Dauer von vorerst 2 Monaten angeordnet.“

Es wird deutlich, dass diese Beurteilung und Entscheidung noch durch das Gedankengut der Nazis zum Thema Homosexualität geprägt war. Man gefiel sich außerdem darin, einen selbstbewussten homosexuellen Mann lächerlich zu machen und ihn zwischen den Zeilen quasi für verrückt zu erklären. Außerdem gefiel man sich darin, diese Überzeugung und dieses Verhalten mit strenger Isolierung in Einzelhaft zusätzlich zu bestrafen, was an Folter grenzt. Zwei Monate darauf wurde erneut über ihn entschieden:

„Wie zu erwarten, war seine Führung während den 2 Monaten nicht zu beanstanden. Jedoch muss er wegen seiner triebhaften homosexuellen Veranlagung nach Möglichkeit isoliert gehalten werden. […] Er bedarf jedoch dauernder Beaufsichtigung und Einzelhaft bei Nacht für die ganze Dauer seiner Haft.“

Nun konnte er wenigstens tagsüber mit Menschen zusammenkommen.

Erst ab 1994 war seine „Straftat“ nicht mehr strafbar.

(Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Bestand G 30 Rodgau, Rodgau-Karteikarten. Akte: Niedersächsisches Landesarchiv, Staatsarchiv Osnabrück Rep. 947 Lin II Nr. 7793. Ich danke dem Historiker Christian-Alexander Wäldner, Weetzen, für zusätzliche Informationen. Ich danke Ralf Bogen und Werner Biggel, Stuttgart, für zusätzliche Informationen aus dem Staatsarchiv Ludwigsburg zu seiner Nachkriegshaft)

© Text und Recherche: Rainer Hoffschildt


 wolff-stal-el-334-i_bue-2413_0004

wolff-stal-el-334-i_bue-2413_0005

(Staatsarchiv Ludwigsburg, Ober- u. Mittelbehörden, Justizministerium, EL 334 I Bü 2413)

Im § 175a-Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 5. Mai 1950 zu Franz Wolff, wohnhaft in Stuttgart Bad Canstatt, Neckartal-Str. 69, wird ausgeführt, wie er in bestimmten als „homosexuell“ bekannten Lokalen (z. B. die „Hopfenblüte“ oder das „Cafe Gymnasium“) verkehrte. Bezeichnend für die Einstellung der Justiz nach 1945 ist die Darstellung der von Franz Wolff erlebten Leiden während der NS-Diktatur, wenn es hier heißt: „Insgesamt will er von 1938 bis 1945 in Strafanstalten, Strafeinheiten und Straflagern gewesen sein und vor allem während des Strafvollzugs im Moor im Emsland schwere Gesundheitsschäden erlitten haben.“ In Kontinuität zur NS-Justiz wurde vom Landgericht Stuttgart das Urteil wie folgt begründet: „Bei der Strafzumessung […] waren folgende Gesichtspunkte entscheidend: die Angeklagten K. und W. sind wiederholt einschlägig, und zwar sehr streng bestraft worden. Trotzdem sind sie wieder straffällig geworden.“
Nicht nur die Richter waren nach 1945 von der homophoben NS-Gesinnung geprägt, sondern auch die Gefängnisverwaltungen. Dies zeigt deutlich der Vermerk über eine Konferenz im Gefängnis Ludwigsburg vom 22. September 1950 zu Franz Wolff, in der als Ergebnis die „strenge Einzelhaft bei Tage wie bei Nacht“ bestimmt wurde (siehe Staatsarchiv Ludwigsburg, Ober- u. Mittelbehörden, Justizministerium, EL 334 I Bü 2413, Anm. Biggel / Bogen)


pin3d428b  Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Stuttgart / Bad Canstatt, Neckartalstr. 69


Täterorte in Baden-Württemberg:
Landgericht Stuttgart
Gefängnis Rottenburg
Staatsanwaltschaft Freiburg
Wehrmachtsgefängnis in Freiburg
Zuchthaus Ludwigsburg
nach 1945: Landgericht Stuttgart
Landesstrafanstalt Ludwigsburg

Weitere Täterorte:
Strafgefangenenlager Rodgau
Feldkriegsgericht des Höheren Kommandos XXXIII
Strafgefangenenlager Aschendorfer Moor
Strafgefangenenlager Walchum
Strafgefangenenlager Nord (Norwegen)