* 11.4.1881 Mosel

† 10.4.1944 KZ Natzweiler

Wilhelm Johannes Böhme wurde am 11. April 1881 als Sohn des Brauereibesitzers Friedrich Wilhelm Böhme und seiner Ehefrau Emma geb. Vetter in Mosel, Kreis Zwickau, in Sachsen geboren. Das Ehepaar hatte viele Schicksalsschläge zu verkraften:

Zwei Söhne waren bereits jung gestorben und nach der Geburt ihrer Tochter Emma Martha 1879 kam Johannes blind zur Welt. Erst im 8. Lebensjahr nach 13 Operationen erlangte er eine beschränkte Sehfähigkeit. Er trug eine dicke Brille, oft Starbrille genannt. Auch nach den Operationen galt er als praktisch blind. Eine „normale“ Kindheit hatte er infolge seines Augenleidens nicht. Er blieb fast immer zu Hause und konnte keine öffentliche Schule besuchen. Als Kind bekam er 5 Jahre lang Privatunterricht und besuchte dann drei Jahre das Gymnasium. Er war evangelisch, ledig und kinderlos.

Weitere Schicksalsschläge folgten: Die Brauerei in Mosel brannte ab und die Familie zog nach Limburg a.d. Lahn, wo Johannes’ Vater eine Brauerei übernahm. Der Vater starb 1900 an Krebs und die Brauerei wurde verkauft, nicht jedoch das Wohnhaus auf dem Brauereigelände, wo die Witwe und ihr Sohn Johannes weiterhin wohnten. Johannes eröffnete 1920 in dem Haus eine Weinhandlung, die aber ab 1924 nicht mehr im Handelsregister erscheint. Während seiner Zeit in Limburg wurde er vom dortigen Schöffengericht am 1. Dezember 1930 wegen Sittlichkeitsverbrechen in vier Fällen zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren verurteilt. Auf seine Berufung wurde die Strafe vom Landgericht Limburg auf 1 Jahr 4 Monate Gefängnis festgesetzt. In Limburg lebte er in der Hauptsache von seinem Vermögen. Infolge des vollkommenen Verlustes seiner Vermögenswerte lebte er danach von der Fürsorge und Kleinrentnerunterstützung.

1933 zog er nach Lahr in das Haus seiner inzwischen verwitweten Schwester Emma Martha in der Eichrodtstrasse 9. In dieser Zeit war er auch eine Zeit lang in der Anstalt in Fußbach bei Gengenbach untergebracht. Fußbach war die Kreispflegeanstalt des Kreises Offenburg. Sie beherbergte Menschen, die gebrechlich, behindert sowie körperlich und geistig krank waren.

Böhme wurde in Lahr erneut verhaftet. Beim Verhör gab er zu, dass er von jeher homosexuell veranlagt war. Für Frauen zeigte er wenig Interesse; er fühlte sich zum männlichen Geschlecht hingezogen. Ein Polizeisekretär betrachtete ihn als gemeingefährlich und für die hiesige Jugend eine große Gefahr. Dagegen bezeichnete ein Gutachter des Gesundheitsamtes Lahr ihn als „harmlos“. Aus dem Gutachten: „Die Untersuchung ergibt, dass es sich bei Böhme um einen jetzt 57 jährigen Mann handelt mit verhältnismäßig stark ausgeprägten Frühhaltungserscheinungen. Er ist zeitlich, örtlich und persönlich orientiert; seine Auffassung ist nicht wesentlich erschwert. Seine Urteilsfähigkeit in einfachen Dingen ist nicht gestört. Seine Verständnisanlagen und Fähigkeiten müssen als beschränkt angesehen werden. In seiner Darstellungsweise ist er umständlich, sehr weitschweifig, kleinlich, kindisch-gewissenhaft.“ Der Gutachter hielt die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt ärztlicherseits nicht für notwendig. Im Fall einer Wiederholung seiner Vergehen empfahl er jedoch die dauernde Unterbringung in einer Pflegeanstalt. Am 3. März 1938 verurteilte das Landgericht Offenburg ihn wegen Verbrechens gegen § 175 a Ziffer 3 zu einer Gefängnisstrafe von 8 Monaten. Die Strafe verbüßte er im Bezirksgefängnis Offenburg.

1940 stand Böhme erneut vor einem Gericht. Am 11. April 1940 wurde er wegen homosexueller Handlungen (§ 175 a Ziffer 3) vom Landgericht Freiburg zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Zusätzlich wurde Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt angeordnet. Da die Prozessakte nicht mehr existiert, sind keine Einzelheiten bekannt. Vermutlich verbüßte er seine Strafe im Gefängnis. Sein Verhängnis war nicht die Gefängnisstrafe, sondern die Einweisung am 25. Januar 1941 in die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen. Von dort, wie von all den anderen Heilanstalten, gab es praktisch kein Entkommen. Am 23. Oktober 1942 transportierte man ihn in die Heil- und Pflegeanstalt Hoerdt im Elsass. Zur Arbeitsleistung wurde er am 21. März 1944 in das Konzentrationslager Natzweiler verlegt, wo er die Häftlingsnummer 8055 bekam. Bei der Einlieferung war sein Allgemeinzustand mäßig. Dadurch und durch seine Blindheit war er nur beschränkt einsatzfähig. Zwanzig Tage später, am 10. April 1944, wurde er im KZ ermordet. Die Todesurkunde gibt als Grund Herzinsuffizienz und Ödem an. Wie in den meisten Fällen im KZ stimmt dieser Grund sehr wahrscheinlich nicht.

Vom KZ Natzweiler existiert eine kurze Personenbeschreibung: Größe 1,68 m., Gewicht 49 kg, Haare grau, Augen blau, Kopf länglich, Hören gut, Gebiss lückenhaft. Vor seinem letzten Wohnort in Lahr liegt heute zu Erinnerung an ihn ein Stolperstein.

(Stadtarchiv Zwickau; Stadtarchiv Limburg a.d. Lahn; Stadtarchiv Lahr; StAF, Bestand A43/1 Nr. 135, Prozessakte 1938; ebd., Bestand F176/19 Nr. 9502, Landgericht Freiburg, Register für Hauptverfahren 1935-1948, Abt. 4; Patientenkartei der Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen – heute Zentrum für Psychiatrie Emmendingen -; Internationaler Suchdienst, Bad Arolsen.)

© Text und Recherche: William Schaefer


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Von Johannes Böhme ist der ausgefüllte „Fragebogen für Häftlinge“ des KZ Natzweiler sowie die Dokumentation der Ärztliche Aufnahmeuntersuchung vom 22. März 1944 überliefert (siehe 1.1.29.2, Doc-ID 3150317 und 3150320, ITS Digital Archive / Bad Arolsen – Anm. Biggel / Bogen).


pin3d428b  Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Lahr, Eichrodtstraße 9


Täterorte in Baden-Württemberg:
Landgericht und Bezirksgefängnis Offenburg
Landgericht Freiburg
Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen

Weitere Täterorte:
Heil- und Pflegeanstalt Hördt im Elsass
KZ Natzweiler